"Die wahre Geschichte des fünf-Stände-Méihuāzhuāng"

《五势梅花桩述真》
五势梅花桩述真

Wáng Zhìzhōng 王志忠五势梅花桩述真》 wǔshì méihuāzhuāng shùzhēn, "Die wahre Geschichte des fünf-Stände-Méihuāzhuāng", ist im November 2019 im Verlag der Qīnghuá Universität erschienen.

Inhaltsverzeichnis:

  • Geleitwort (1)
  • Geleitwort (2)
  • Vorwort
  • Einleitung
  • 1 Einführung
  • 2 Ursprung und Geschichte
  • 3 Die Wahrheit in den Tatsachen suchen
  • 4 Text der 100 Zeichen
  • 5 Fünf Stände
  • 6 Form
  • 7 Kurze Einführung ins Boxen in Angriff und Verteidigung
  • 8 Von der Praxis zur Theorie
  • 9 Rückblick auf 40 gemeinsame Lehrer-Schüler Jahre
  • 10 Zurück zur ursprünglichen Reinheit
  • Anhang
  • Nachwort

Dem Autor gelingt eine klare und unverfälschte Darstellung des fünf-Stände-Méihuāzhuāng. Bisher liegt die chinesische Ausgabe vor. Einzelne Abschnitte des Werkes werden nach und nach unten ins Deutsche übertragen. Dabei wird auf Fußnoten verzichtet.

Wáng Zhìzhōng 王志忠, Dezember 2019, Midwolda, Holland
Wáng Zhìzhōng 王志忠, Dezember 2019, Midwolda, Holland

Geleitwort (1)

Ich freue mich sehr, dass mein Lehrer Wáng Zhìzhōng 王志忠 das lang von mir ersehnte Buch über fünf-Stände-Méihuāzhuāng fertig gestellt hat und jetzt, da er mich gebeten hat, ein Geleitwort zu schreiben, komme ich seiner Bitte gerne nach.

1986, in meinem zweiten Studienjahr an der Qīnghuá-Universität, wählte ich im Fach Sport den Kampfkunstkurs von Lehrer Wáng. Von da an lernte ich die traditionellen chinesischen Kampfkünste allmählich kennen und schätzen, bis sie endlich zu einem elementaren Bestandteil meines täglichen Lebens wurden.

Während der Jahre des Übens empfand ich am eindringlichsten den Inhalt zweier Sätze, die Lehrer Wáng oft erwähnte. Der eine Satz lautet: "Wahres Wissen kommt aus der Praxis." Passend dazu gibt es ein Sprichwort: "Die Schneide des Schwertes entsteht durch das Schleifen am Wetzstein. Der Duft der Winterblüte entspringt der bitteren Kälte." Eine Wirkung kann nur durch Ausdauer und gewissenhafte Übung erzielt werden. Es gibt keine Abkürzungen und erst recht keine Wunder. Mit seinen 86 Jahren wird Lehrer Wáng immer noch zweimal im Jahr in die Schweiz eingeladen, um seine Schüler in den Kampfkünsten zu unterweisen. Sein unverändert robuster Körper und seine starke Ausstrahlung sind die Belohnung für seine ununterbrochene Praxis seit mehr als 70 Jahren.

Der andere Satz lautet: “Wenn du mit ganzem Herzen bei der Sache bist, wirst du das Ziel erreichen." Während des Übens musst du konzentriert fühlen und wahrnehmen, nur so bist du in der Lage, verlässlich Falsches zu entfernen und Richtiges zu bewahren. Danach kannst du weiter vom Groben zum Feinen voranschreiten und deine Fähigkeiten unermüdlich vervollkommnen. Den Dingen nicht auf den Grund gehen, sondern sich mit einer ungefähren Vorstellung begnügen, führt leicht dazu, dass “eine anfänglich geringe Abweichung um nur Haaresbreite am Ende zu einer Abweichung von 1000 Meilen führt, d.h. ein völlig falsches Resultat hervorbringt” oder sogar dazu, dass “du im Alter gar nichts dein Eigen nennen kannst”. Wenn ich jetzt jedes Jahr während der Sommerferien Lehrer Wáng persönlich besuche und um Rat bitte, korrigiert er meine Haltung und meine Bewegungen nach wie vor eingehend und spricht umfassend über seine persönlichen Erfahrungen und Einsichten während der verschiedenen Abschnitte seines Lebens. Seine sorgfältige und bedachte Haltung spiegelt sich auch in diesem Buch wider, das viele Jahre der wiederholten Überlegungen, der eingehenden Untersuchung und der verfeinerten Bearbeitung durchlaufen hat.

Die von Lehrer Wáng gelehrten Kampfkünste haben mir bis heute nicht nur geholfen, Muskeln, Sehnen, Bänder und Knochen zu trainieren, sondern vor allem, den körperinneren Kreislauf zu verbessern, um durch Arbeitsstress verursachte Beeinträchtigungen rechtzeitig zu beseitigen. Eine gesunde innere Umgebung befähigt die verschiedenen Systeme und Organe des Körpers gut aufeinander abgestimmt zu arbeiten und so Krankheiten vorzubeugen. Ich hoffe sehr, dass das Buch von Lehrer Wáng den Lesern und Liebhabern des fünf-Stände-Méihuāzhuāng helfen wird, ihr Niveau zu verbessern und ein langes und gesundes Leben zu führen.

Zhào Huìmín, März 2017, Milwaukee, USA

Geleitwort (2)

Nachdem der alte Meister Hán Qíchāng 韩其昌 sein Einverständnis erklärt hatte, wurde ich ab April 1985 auf dem Trainingsgelände des Wǔshù-Teams der Qīnghuá-Universität von Lehrer Wáng Zhìzhōng 王志忠 unterrichtet. Von da an begann mein Weg, chinesische Kampf- und Bewegungskünste zu lernen und zu üben. Als ich erfuhr, dass das Buch meines Lehrers, "Die wahre Geschichte des fünf-Stände-Méihuāzhuāng", kurz vor der Herausgabe stand, war ich völlig aus dem Häuschen.

Lehrer Wáng Zhìzhōng, Vertreter der 17. Generation des fünf-Stände-Méihuāzhuāng mit dem Zeichen (jiào lehren), ist seit über 70 Jahren Zeitzeuge der Kreise rund um den fünf-Stände-Méihuāzhuāng. Er hat die Fakten, die er während dieser Zeit gesehen und gehört hat, für uns aufgezeichnet. Das ist eine wertvolle Quelle. Er hat 42 Jahre lang die Unterstützung seines Lehrers Hán Qíchāng genossen und eine breite Palette von Kampfkünsten gelernt. Er beherrscht sowohl die äußeren Künste, nämlich Shàolín Jīngāngquán 少林金刚拳 als auch die inneren Künste, nämlich fünf-Stände-Méihuāzhuāng 五势梅花桩, Xíngyìquán 形意拳, Tàijíquán 太极拳, Bāguàzhǎng 八卦掌. Auf dem Gebiet der Gesundheitspflege blickt er auf jahrzehntelange persönliche Erfahrung zurück. Auf dem Gebiet der Anwendung der Kampfkünste sind seine Fähigkeiten für andere schwer zu ergründen. Auf dem Gebiet der Boxtheorie hat er mit scharfem Forschergeist die charakteristischen Eigenschaften verschiedener Boxkünste sorgfältig bis ins Kleinste analysiert. Er blickt sowohl auf lange Jahrzehnte ununterbrochener, eigener Trainingspraxis zurück als auch auf eine reiche Lehrerfahrung von über sechzig Jahren.

Die Leitlinie des Lehrers für das Studium der chinesischen Kampfkünste ist die Auffassung, dass die Praxis die Grundlage der Theorie ist und die Theorie nicht von der Praxis getrennt werden darf. Daraus folgt, wer keine Übungspraxis hat, hat auch kein Recht mitzureden. Der Lehrer hat die Praxis des fünf-Stände-Méihuāzhuāng eng mit dem philosophischen Hintergrund verknüpft und den Bezug konkret an einzelnen Beispielen verdeutlicht, um bei seinen Schülern nachhaltig neue Einsichten zu hinterlassen.

Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich eine geradlinige Persönlichkeit habe, gerne die Wahrheit sage und leeres Gerede ablehne. Das spiegelt sich auch in meinem Geleitwort wider. Wenn es darum geht, warum der Lehrer das hier vorliegende Buch geschrieben hat, bin ich mir sicher, dass es keine eigennützigen Gründe sind, sondern dass es ihm allein darum geht, mit den Schülern der nachfolgenden Generationen das zu teilen, was er in über 70 Jahren gesehen, gehört, erreicht und bemerkt hat. Die alten Meister der 16. Generation des fünf-Stände-Méihuāzhuāng mit dem Zeichen (hé vereinigen) sind alle verstorben. Wenn die Wahrheit über den fünf-Stände-Méihuāzhuāng nicht aufgezeichnet wird, wie viele Menschen werden sie dann in ein paar Jahren noch kennen? Jemand sagte zum Lehrer: "Wenn du es für dich behältst, wer weiß es dann noch?" Die Person, die sich so äußerte, hätte die Veröffentlichung der Wahrheit gerne verhindert. Damit aber auch zukünftige Generationen die ganze Wahrheit kennen, hat der Lehrer viele Jahre seiner kostbaren Zeit geopfert hat, dieses Buch zu vollenden. Ich danke ihm hier von ganzem Herzen.

In der traditionellen chinesischen Medizin gibt es die diagnostische Methode des "Betrachtens" ( wàng). Ein Arzt, der diese Methode hervorragend beherrscht, wird sprichwörtlich gepriesen als jemand, der "hinschaut und versteht, wie ein Gott". Diesen Vergleich kann man auch auf den Lehrer übertragen. Er ist ein Vertreter des fünf-Stände-Méihuāzhuāng mit der genialen Fähigkeit, das Wesentliche einer Situation auf einen Blick sofort zu erfassen. Er unterrichtet Lernende in dem Geist "nicht zu handeln und doch alles zu tun" und das Ergebnis ruft immer wieder Staunen hervor. Er geht mit gutem Beispiel voran und verkörpert die drei Schätze, die im Dàodéjīng 道德经 erwähnt werden, nämlich Güte, Genügsamkeit und Zurückhaltung: "Wer gütig ist, kann mutig sein; wer genügsam ist, kann großzügig sein; wer nicht vorangehen möchte, kann der erste sein." Möge der Lehrer seine Gesundheit pflegen, damit er noch viele Jahre auf dieser Welt genießen kann.

Gudrun Gerbstedt, August 2017, Kiel, Deutschland

Vorwort

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Einleitung

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1 Einführung

1.1 Der Name ist die Mutter aller Dinge

1.1.1 Herleitung des Namens Gānzhī-Wǔshì-Méihuāzhuāng

Gānzhī 干枝 sind die blattlosen Zweige, an denen anfänglich nur die gelben Blüten zu sehen sind.

Wǔshì 五势 sind fünf verschiedene Stände, die nacheinander symmetrisch erst nach links und dann nach rechts eingenommen werden. Die Kampfkunst ahmt die chinesische Winterblüte Làméi 腊梅, chimonanthus praecox, mit ihrer symmetrischen Anordnung von Zweigen, Blüten und Blättern nach.

Méihuā 梅花 meint die chinesische Winterblüte, Làméi 腊梅, eine der “drei Freunde des Winters”, Kiefer, Bambus und Winterblüte.

Zhuāng bezieht sich ursprünglich auf ein pfahlförmiges Objekt, das in den Boden eingegraben ist. Beim fünf-Stände-Méihuāzhuāng ersetzen die Beine die Pfähle. Jeder Stand wird getragen von einem jeweils besonderen Pfahl-Schritt, in dem der Übende verharrt, als wären seine Beine wie Pfähle in den Boden gerammt. Wieder ahmt die Kampfkunst die Winterblüte nach. Tief verwurzelt stehen die wie Pfähle in den Boden gerammten Beine. Die aufrechte Körperhaltung spiegelt die kerzengraden, hochgewachsenen Stämme des Winterblütenstrauches wider. Jeder einzelne der fünf Pfahl-Schritte bildet ein festes Fundament, auf dem sich der Körper in der jeweils besonderen Haltung in Einklang mit der Schwerkraft aufbauen kann. Der Übende hat ein stabiles, volles, ruhiges und kraftvolles Gefühl.

1.1.2 Unterschied zwischen “wie ein Pfahl stehen” und “auf einem Pfahl stehen”

“Wie ein Pfahl stehen” und “auf einem Pfahl stehen” sind zwei völlig verschiedene Konzepte. “Wie ein Pfahl stehen” ist die Fähigkeit, seinen Körper oben und unten, innen und außen zu stabilisieren, die Grundfertigkeit des fünf-Stände-Méihuāzhuāng. Beim Stehen wie ein Pfahl ist die Geisteshaltung kontrolliert, ruhig und entspannt. “Auf einem Pfahl stehen” ist die Geschicklichkeit auf einen einem Pfahl ähnlichen Gegenstand zu steigen und auf dem Pfahl zu praktizieren. Das ist eine der 72 Shàolín Künste. Wer einen Pfahl besteigt und in der Höhe praktiziert, dessen Geisteshaltung ist erregt, unruhig und angespannt. Auf einem Pfahl zu praktizieren ist eine Kampfkunst, die sich auf ein Objekt außerhalb des eigenen Körpers stützt und damit gegen die Prinzipien der daoistischen Übung verstößt. Beide Künste haben nicht die gleichen Wurzeln, es sind zwei ganz verschiedene Dinge.

1.2 Gesundheitspflege

1.2.1 Die physiologische Beziehung zwischen den fünf Ständen und dem Körper

Die fünf Stände sind großer Stand, längs Stand, verdrehter Stand, kleiner Stand und schräger Stand. Wie alle Dinge auf der Welt haben die Stände ihren Ursprung in den fünf Wandlungsphasen der Natur, nämlich Metall, Wasser, Holz, Feuer und Erde. Das gilt auch für den menschlichen Körper. Die fünf Stände und der Körper sind durch die fünf Wandlungsphasen eng miteinander verbunden. Durch wiederholtes Üben werden die Leitbahnen der Gliedmaßen durchgängig gemacht und das Gleichgewicht zwischen Yin- und Yang-Organen verbessert. Zum Beispiel: Die Lunge hat die Funktion, Altes auszuwerfen und Neues aufzunehmen; die Nieren haben die Funktion, Essenz und Qi im Dantian zu speichern und sind zuständig für Kot und Urin; die Leber hat die Funktion, Blut zu speichern, Durchlässigkeit herzustellen, das Sehvermögen zu verbessern, Sehnen und Nägel zu beleben; das Herz hat die Funktion, Qi und Blut durch die Gliedmaßen zu transportieren und Schweiß abzusondern; die Milz hat die Funktion der Verdauung und Absorption und der Stärkung der Muskelkraft. In erster Linie wird durch das Üben der fünf Stände die Wirkung erzielt, Herz und Lunge zu beruhigen. Das angenehme Gefühl während des Übens und danach ist die konkrete Verkörperung des Gleichgewichts und der Koordination des Yin und Yang der fünf Yin- und sechs Yang-Organe.

Die folgenden Ausführungen sind eine detaillierte Beschreibung der Beziehung zwischen jedem einzelnen Stand und dem Körper, unten noch einmal zusammengefasst in Tabelle 1-1.

Der große Stand

Der große Stand heißt auch "aufrechter Stand” oder “Bàwáng stemmt den Dreifuß” und ist Wandlungsphase Metall. Im großen Stand ist die Bedeutung “aufrecht zwischen Himmel und Erde, stabil wie ein Berg” enthalten. Der große Stand trägt zur Regulierung von Trauer bei. Bei den Yin Organen wirkt er sich positiv auf die Lungen aus. Die Lungen bergen Mut. Bei den Yang Organen wirkt er sich positiv auf den Dickdarm aus. Bei den Sinnesorganen wirkt er sich positiv auf die Nase aus. Die Nase soll beim Üben nicht unbesonnen riechen. Beim Körpergewebe wirkt er sich positiv auf die Haut aus.

Der längs Stand

Der längs Stand heißt auch “Peitsche” oder “Èrláng trägt zwei Berge an der Tragestange” und ist Wandlungsphase Wasser. Im längs Stand ist die Bedeutung “der Natur ihren Lauf lassen, den Weg für Qi und Blut freimachen” enthalten. Der längs Stand trägt zur Regulierung von Angst bei. Bei den Yin Organen wirkt er sich positiv auf die Nieren aus. Die Nieren bergen den Willen. Bei den Yang Organen wirkt er sich positiv auf die Blase aus. Bei den Sinnesorganen wirkt er sich positiv auf die Ohren aus. Die Ohren sollen beim Üben nicht unbesonnen horchen. Beim Körpergewebe wirkt er sich positiv auf die Knochen aus.

Der verdrehte Stand

Der verdrehte Stand heißt auch “Kreuz Stand” oder “verdreht auf dem Drachen reiten” und ist Wandlungsphase Holz. Im verdrehten Stand ist die Bedeutung “abwechselnd nach links und rechts, im Verdrehten nach längs streben”enthalten. Der verdrehte Stand trägt zur Regulierung von Wut bei. Bei den Yin Organen wirkt er sich positiv auf die Leber aus. Die Leber birgt Intuition . Bei den Yang Organen wirkt er sich positiv auf Galle aus. Bei den Sinnesorganen wirkt er sich positiv auf die Augen aus. Die Augen sollen beim Üben nicht unbesonnen schauen. Beim Körpergewebe wirkt er sich positiv auf die Sehnen aus.

Der kleine Stand

Der kleine Stand heißt auch “stehen wie ein Nagel” oder “der weiße Affe klettert in den Ästen” und ist Wandlungsphase Feuer. Im kleinen Stand ist die Bedeutung “den Unterschenkel heranziehen und tiefe Wurzeln schlagen” enthalten. Der kleine Stand trägt zur Regulierung von Freude bei. Bei den Yin Organen wirkt er sich positiv auf das Herz aus. Das Herz birgt Geist, Bewusstsein. Bei den Yang Organen wirkt er sich positiv auf den Dünndarm aus. Bei den Sinnesorganen wirkt er sich positiv auf die Zunge aus. Die Zunge soll beim Üben nicht unbesonnen schmecken. Beim Körpergewebe wirkt er sich positiv auf die Blutbahnen aus.

Der schräge Stand

Der schräge Stand heißt auch “Wendepunkt” oder “Bàwáng legt den Panzer ab” und ist Wandlungsphase Erde. Im schrägen Stand ist die Bedeutung “nach links und rechts lehnen, das Aufrechte wird zum Schrägen” enthalten. Der schräge Stand trägt zur Regulierung von Sorgen bei. Bei den Yin Organen wirkt er sich positiv auf die Milz aus. Die Milz birgt den Intellekt. Bei den Yang Organen wirkt er sich positiv auf den Magen aus. Bei den Sinnesorganen wirkt er sich positiv auf den Mund aus. Der Mund soll beim Üben nicht unbesonnen sprechen. Beim Körpergewebe wirkt er sich positiv auf die Muskeln aus.

Tabelle 1-1: Die physiologische Beziehung zwischen den fünf Ständen und dem Körper

5 Stände großer Stand längs Stand verdrehter Stand kleiner Stand schräger Stand
anderer Name aufrechter Stand Peitsche Kreuz Nagel Wendepunkt
weiterer Name Bàwáng stemmt den Dreifuß Èrláng trägt zwei Berge an der Tragestange verdreht auf dem Drachen reiten der weiße Affe klettert in den Ästen Bàwáng legt den Panzer ab
5 Wandlungs-phasen Metall Wasser Holz Feuer Erde
dem Stand innewohnende Bedeutung aufrecht zwischen Himmel und Erde, stabil wie ein Berg der Natur ihren Lauf lassen, den Weg für Qi und Blut freimachen abwechselnd nach links und rechts, im Verdrehten nach längs streben den Unterschenkel heranziehen und tiefe Wurzeln schlagen nach links und rechts lehnen, das Aufrechte wird zum Schrägen
5 Emotionen Trauer Angst Wut Freude Sorge
5 Yin Organe Lungen Nieren Leber Herz Milz
5 Teilbereiche des Geistes Mut Wille Intuition Geist Bewusstsein Intellekt
Denken
5 Yang Organe Dickdarm Blase Galle Dünndarm Magen
5 Sinnesorgane Nase Ohren Augen Zunge Mund
5 Gebote Die Nase riecht nicht unbesonnen Die Ohren horchen nicht unbesonnen Die Augen schauen nicht unbesonnen Die Zunge schmeckt nicht unbesonnen Der Mund spricht nicht unbesonnen
5 Körper-gewebe Haut Knochen Sehnen Blutbahnen Muskeln

1.2.2 Lernen und Üben der fünf Stände

Wer gerade mit dem Üben der fünf Stände begonnen hat, muss schauen, was er oder sie sich zutraut, wie weit sie die Anforderungen erfüllen können: die Schultern loslassen und die Arme ausbreiten, die Muskeln dehnen und die Knochen auseinander ziehen, die Größe des Schrittes sowie die Höhe des Standes wählen, die Richtung der Füße und Hände festlegen, den Schwerpunkt stabilisieren. Die Dauer, wie lange jeder Stand eingenommen wird, verlängert sich allmählich von drei auf fünf Atemzüge. Ziel ist es, sich zu vertiefen und Stabilität herzustellen, Körper und Geist in einen ruhigen Zustand zu versetzen. Auf keinen Fall sollte man danach streben, ganz schnell etwas erreichen zu wollen. Beim Essen nimmt man einen Bissen nach dem anderen zu sich, um Können zu erwerben, muss man Tag für Tag üben. Nach und nach wird unbewegliche Kraft abgeschliffen, Geist genährt und Qì gespeichert. Man muss mit dem Herzen bei der Sache sein, die Gedanken dürfen nicht abdriften. Man muss immer darauf bedacht sein, seine Zeit zu nutzen, jeden Tag angemessen Übungszeit einzuplanen und fleißig und ausdauernd zu üben. Durch das Üben der fünf Stände werden Koordination und Ordnung von Knochen, Bändern, Sehnen, Muskeln und Haut gefördert. So kann man die Ausbildung der Stufe der "Veränderung des Körpers" voranbringen.

Die Zeit, die man mit dem Üben der fünf Stände verbringt, verhält sich proportional zum Erfolg. Wenn man fleißig übt, wird das seine Wirkung entfalten und im Laufe der Zeit wird sich ein entsprechender Erfolg einstellen.

Gleichzeitig muss man die Beweglichkeit trainieren. Beweglichkeit ist eine wichtige Voraussetzung für den Übungserfolg und unbedingt notwendig für die Stufe der "Veränderung des Körpers". Wenn wir früher Grundfertigkeiten trainiert haben, sagte unser Lehrer Hán Qíchāng immer: “Ich bekomme meine Beine nicht hoch und kann deshalb keine hohen Kicks machen. Ihr solltet mehr für eure Beweglichkeit tun.”

Als Anregung für Anfänger hat der Autor den wesentlichen Inhalt der fünf Stände in fünf Metaphern zusammengefasst:

  1. Der große Stand gleicht einem Berg.
  2. Der längs Stand gleicht einem Fluss.
  3. Der verdrehte Stand gleicht einem Baum.
  4. Der kleine Stand gleicht einer Flamme.
  5. Der schräge Stand gleicht einem Erdrutsch.

Die gewählten Bilder sollen dem Übenden helfen, ein Gefühl für die Besonderheit der Haltung jedes einzelnen der fünf Stände zu entwickeln. Aus dem Zusammenwirken von außen (Knochen, Bänder, Sehnen, Muskeln, Haut) und innen (Essenz, Qì und Geist) erwächst eine stabile Stand-Haltung und das Gefühl einer zuvor nicht gekannten, neuen Stärke.

Egal ob er oder sie, jung oder alt, man muss die fünf Stände drei bis fünf Jahre üben, ehe sich ein Erfolg einstellt. Hat man den Erfolg aber erreicht, dann kann man die Stände egal ob Frühling, Sommer, Herbst oder Winter, ob drinnen oder draußen, zu welcher Zeit oder an welchem Ort immer und überall praktizieren, z.B. während einer Arbeitspause im Büro oder auf der Langstrecke in einer Flugzeugkabine, überall kann man aufstehen, sich im verdrehten Stand abwechselnd nach rechts und links hinstellen, um so die eigene Müdigkeit zu lindern bzw. seine Lebensgeister neu zu erwecken.

1.2.3 Kernpunkte beim Üben der fünf Stände

Als Resultat seiner eigenen Praxis hat der Autor fünf Erfahrungen als Kernpunkte beim Üben der fünf Stände zusammengefasst:

  1. Der Schwere des Körpers folgen
  2. Anspannung und Entspannung beherrschen
  3. Ordnung in die Körperhaltung bringen
  4. Rückmeldung über das Gefühl des ungehinderten Flusses von Qì und Blut
  5. Essenz, Qi und Geist stabilisieren

1.2.4 Wahrnehmung von Ruhe und Bewegung

Bei den fünf Ständen stehen die Stände für Ruhe, der Wechsel zwischen den Ständen steht für Bewegung.

Bei jedem Stand gibt es eine innere Beziehung jedes Körperteils zu einem anderen Körperteil als Gegenpol und bei jedem Stand erfolgt eine Rückmeldung des Gefühls, wie Blut und Qi vom Körper vollständig zu den Endpunkten, das sind Hände und Füße, transportiert werden.

Nach dem Stehen in einem Stand erfolgt der Übergang zum Stehen im nächsten Stand. Auch für den Übergang zum nächsten Stand gilt, dass die Bewegung jedes Körperteils in innerer Beziehung zu einem anderen Körperteil als Gegenpol steht.

Durch den ständigen Wechsel von Stand (Ruhe) und Übergang (Bewegung) zum nächsten Stand (Ruhe) spürt der Übende, wie Bewegung und Ruhe sich gegenseitig ergänzen und Yin und Yang sich gegenseitig abwechseln.

Bewegung fördert die Funktion der Nieren, die Knochen zu beherrschen, Knochenmark zu produzieren und Blut zu bilden. In Ruhe werden Muskeln, Sehnen, Bänder und Knochen justiert und die Gefäße durchlässig gemacht. Unsere Vorväter bezeichneten das als shòushìbǎoyuán 寿世保元 , die Gesundheit pflegen (bǎoyuán 保元 das ursprüngliche Qi schützen), um ein langes Leben auf dieser Welt (shòushì 寿世) zu genießen.

1.3 Abwehrbewusstsein

1.3.1 Die Wirksamkeit der fünf Stände für die Abwehr

Die Bewegungen der fünf Stände sind groß, die Bewegungen öffnen sich nach außen und schließen sich nach innen. Durch das Zusammenwirken der Bewegungen des großen Öffnens und des großen Schließens werden Reflexmechanismen bestimmter Organe und Körperfunktionen aktiviert (vgl. Tabelle 1). Alles Qi des Körpers wird gespeichert und genährt, es fließt koordiniert und ungestört. Die Fähigkeit, augenblicklich reagieren zu können, wird verbessert. Je tiefer der Übende in die Praxis der fünf Stände eingedrungen ist, desto höher die Geschwindigkeit seiner Techniken.

1.3.2 Die Schritttechniken der drei Methoden

Die fünf Stände stehen für Ruhe. Beim Stehen in Ruhe wird Energie angesammelt. Die Schritttechniken stehen für Bewegung. Die Schritttechniken ermöglichen einen Standortwechsel. Die Beherrschung der Schritttechniken ist eine Fähigkeit, die durch Üben in Bewegung erlangt wird. Dabei wird Energie freigesetzt. Schritttechniken gibt es bei den drei Methoden, beim Durchlaufen der vier Tore, den Schritten in die acht Richtungen oder bei Angriffen auf den Partner bzw. Gegner. Beim Üben mit Waffen gibt es Schritttechniken z. B. beim Schwenken des großen Säbels oder beim Stechen mit dem langen Speer. Diese Schritttechniken belegen, dass im fünf-Stände-Meihuazhuang Spuren von Kampfkünsten enthalten sind, die aus Zeiten stammen, als Kriege mit Hieb- und Stichwaffen geführt wurden.

Die drei Methoden sind das Pendeln (bǎifǎ 摆法), das Zurückweichen (chèfǎ 撤法) und das Stechen (zhāfǎ 扎法). Beim Üben der Form ist das Pendeln ein jeweils schneller Stoß mit dem Körper nach links und rechts. Das Zurückweichen ist die Methode, beim Rückzug Abwehren und Spalten umzusetzen. Das Stechen ist die Methode, bei der ersten guten Gelegenheit sofort anzugreifen. In der Überlieferung werden die drei Methoden als Stammvater aller Schritttechniken bezeichnet, sie verkörpern Schnelligkeit. In der Anwendung benutzt der obere Körperabschnitt auch Handtechniken wie zhuā , ná , shuāi , dǎ . Der mittlere Körperabschnitt benutzt auch Körpertechniken wie āi , bǎng , jǐ , kào , niǎn , zhuǎn , niǔ , cèng . Der untere Körperabschnitt benutzt auch Beintechniken wie pī kòu , cuī , tà , gōu , guà , cǎi , jiǎn , qiánhòu sǎo táng 前后扫堂, zuǒyòu chēng bō 左右撑拨 und auch Schritttechniken wie jìn , tuì 退, chōu , chè , jí , jiàn , diān , tiào , téng , nuó , bá , suō . Zusammenfassend kann man sagen, die drei Methoden beinhalten die beiden Pole Yin und Yang, d.s. vor und zurück, auf und ab sowie hin- und herdrehen, um schnell auszuweichen. Die drei Methoden, das Durchlaufen der vier Tore und die fünf Stände sind Bestandteile der Form des fünf-Stände-Méihuāzhuāng und auch bei den Schritten in die acht Richtungen, bei Partnerformen des Méihuā-Faustkampfes (chéng quán 成拳), beim Kämpfen, um zu siegen (yíng quán 赢拳) und beim Vergleich mit anderen Kampfkünsten (gōng quán 公拳) geht nichts ohne die drei Methoden.

1.3.3 Die Form

Das Üben der Form wird gemeinhin als lā jiàzi 拉架子 bezeichnet. Lā bedeutet hier auseinander ziehen, dehnen, öffnen, besonders der Gelenke der oberen und unteren Extremitäten. Jiàzi 架子 ist das Körpergerüst des Übenden, die Struktur, die nach außen sichtbar ist, häufig auch als Rahmen bezeichnet. Lā jiàzi 拉架子 könnte man somit interpretieren als Ausbildung des angestrebten großen Rahmens. Das Üben der Form wird auch als pán jiàzi 盘架子 bezeichnet. Dabei könnte man pán hier als sich winden verstehen. Das Üben der Form verläuft wie ein gewundener Bergpfad, nicht gradlinig zum Gipfel sondern über viele Windungen.

Die Form besteht im Wesentlichen aus den fünf Ständen sowie den drei Methoden. Dazu kommen weitere für das Üben der Form notwendige Schritttechniken und Schrittfolgen. Traditionell verläuft das Üben der Form in den sog. vier Toren, d.h. der Übungsplatz ist in vier Felder eingeteilt. Eine Runde, ohne Unterbrechung, hin und zurück durch die vier Tore, das ist eine Form. Die Form ist geprägt durch eine fortwährende Verknüpfung von Ruhe und Bewegung. Von Anfang bis Ende zieht sich eine besondere, innere Kraft (qìshì 气势) durch die Form, ein inneres Gefühl des Übenden, das eindrucksvoll nach außen ausstrahlt.

Bei der Form ist es genauso wie bei den fünf Ständen, Inhalt ist sowohl Gesundheitspflege zu betreiben als auch Abwehrbewusstsein zu schaffen. Das Üben der Form ist der Fachunterricht sowohl für die Stufe der Veränderung des äußeren Körpers, d.h. Ausbildung des notwendigen Rahmens, als auch für die Stufe der Veränderung des inneren und äußeren Qi, d.h. Atem und Blut gepaart mit Qi fließen stabil und erzeugen einen inneren Gleichgewichtszustand.

1.3.4 Méihuā Faustkampf: Schritte in die acht Richtungen

Die Schritte in die acht Richtungen bāfāngbù 八方步 sind ein wesentlicher Bestandteil des Méihuā Faustkampfes (Méiquán 梅拳). Es sind Schritte vorwärts, rückwärts, nach links ausweichen, nach rechts drehen oder stabil in der Mitte stehen. Der Bewegungsradius kann durch Einfügen von jī bù 击步, aneinander schlagende Schritte, erweitert werden. Der Übende benutzt die außerordentlich flexibel einsetzbaren Schritte, um einen Angriff zu planen bzw. auf die Gelegenheit für einen Angriff zu warten. In der Überlieferung werden die Schritte in die acht Richtungen als Mutter des Sǎnshǒu 散手, freier Kampf, bezeichnet. Die Schritte in die acht Richtungen unterscheiden zwischen den kleinen Acht, den mittleren Acht und den großen Acht. Die kleine Variante der Schritte in die acht Richtungen geht über drei Punkte, die mittlere über fünf Punkte und die große bewegt sich in ungeordneten Bahnen. Sie wird deshalb auch als Massenschritt, qún bù 群步, bezeichnet. Diese Variante geht über ganz viele Punkte, schnell, aber nicht chaotisch, einerseits entfernt sie sich weit von den Regeln und ist an die jeweilige Situation angepasst, andererseits hält sie die Regeln auch wieder ein.

Laut Überlieferung durch meinen Lehrer gehören sowohl der Méihuā Faustkampf als auch Bāguàzhǎng 八卦掌 der Kūnlún 昆仑 Schule an. Alle Varianten (groß, mittel, klein) der Schritte in die acht Richtungen des Méihuā Faustkampfes und Bāguàzhǎng können zusammen praktiziert werden. Die großen Acht haben einen großen Bewegungsspielraum und sind für das Praktizieren auf größeren Flächen geeignet. Bāguàzhǎng hat einen engeren Bewegungsradius und kann in einer kleineren Umgebung geübt werden. Die Form ist einfach. Sie besteht anfangs nur aus den alten acht grundlegenden Bewegungen. Sobald man darin geübt ist, kann man selbst weitere Bewegungen zusammenstellen. Das Video von Zhao Huimins Praxis der großen, mittleren und kleinen Acht zusammen mit seiner Praxis des Bāguàzhǎng, kann durch Scannen des QR-Codes unter der Inhaltszusammenfassung angesehen werden.

1.3.5 Drei Stufen des Méihuā-Faustkampfes

Die drei Stufen des Méihuā-Faustkampfes (Méiquán 梅拳) sind erstens Partnerformen des Méihuā-Faustkampfes (chéng quán 成拳), zweitens Kämpfen, um zu siegen (yíng quán 赢拳) und drittens der Vergleich mit Praktizierenden anderer Kampfkünste (gōng quán 公拳).

Chéng quán 成拳 bedeutet, fünf-Stände-Méihuāzhuāng wird (chéng ) zum Kampf mit der Faust (quán ), zum Faustkampf nach festgelegten Regeln. Chéng quán wird auch Füttern der Faust (des Angreifers) genannt. Das ist mit dem Köder am Haken eines Anglers zu vergleichen. Der Angler, der einen Fisch fangen will, muss dem Fisch erst einen Köder auswerfen. Wer etwas haben möchte, muss zuerst etwas geben. Zum Beispiel üben zwei Personen, A und B, miteinander. A übt fallen und abrollen und soll den Angreifer “füttern”. Er spielt die Rolle des Unterlegenen und wird besiegt. B übt mit dem Fuß treten, schlagen, werfen und greifen (qínná 擒拿) und spielt die Rolle, A zu “fressen”. Er lernt, A zu besiegen. Wenn A und B ihre Rollen beherrschen, dann tauschen sie die Rollen und üben jeweils die Fähigkeiten des anderen. Nur durch dieses nach festen Regeln ablaufende Training kann ein Verletzungsrisiko durch Stürze vermieden werden.

Chéng quán ist praktisches Üben von Kontaktübungen.

Yíng quán 赢拳 ist Faustkampf, ohne dass vorher eine Rollenverteilung festgelegt wurde. Jeder möchte gewinnen, jeder kämpft um den Sieg. Yíng bedeutet siegen. Bei einem tätlichen Angriff versucht jeder je nach Situation flexibel zu handeln und sobald er “eine freie Stelle sieht, dort eine Bohne reinzudrücken”. “An einer freien Stelle eine Bohne reindrücken” ist eine bäuerliche Redensart in der Provinz Héběi, die verdeutlicht, wie Bauern auf dem Feld Bohnen pflanzen. Hier wird die Redensart auf den Faustkampf umgemünzt. Eine “Bohne”, die man reindrückt, war z.B. die Bewegung die “Faust in den Boden pflanzen”, wie sie Lehrer Hán Qíchāng 韩其昌 und Hán Fùguāng 韩复光, Lehrer derselben Generation, praktizierten. Eine andere “Bohne” war der schnelle Faustschlag von Yǐn Sìduō 尹四多, gleichfalls Lehrer derselben Generation. Sie alle beherrschten die Kunst, eine Schwachstelle des Gegners auszunutzen und aus einer passiven Rolle in eine aktive zu wechseln. Sie ließen dem Gegner den Vortritt, um ihn dann aber zuerst mit dem eigenen Faustschlag zu treffen. Die alten Meister nannten es Faustkampf “mit dem Wind”. Die Vorgehensweise ist, im Angesicht des Angreifers, den geeigneten Zeitpunkt zu erkennen und die Umstände richtig einzuschätzen, die eigene Hand auszustrecken, um den Gegner zu verleiten und in dem Moment, wo die Hand des Gegners angreift, sie sofort zu nutzen. Dabei kommen Hände und Füße gleichzeitig zum Einsatz. Das sind Techniken wie “der Tyrann nimmt seinen Helm ab”, “das Wiesel zieht das Huhn am Kropf weg”, den wilden Tiger aus den südlichen Bergen mit der Faust erschlagen oder den schwarzen Drachen im nördlichen Meer mit den Füßen treten. Auf der Grundlage des Chéng quán Trainings mit fallen und schlagen, kann man nun neue Erfahrungen sammeln: aus Fehlern lernen; erkennen, wo die Gründe für Erfolg oder Niederlage zu suchen sind; die Eigenwahrnehmung nutzen, um eine Strategie zu entwickeln; die eigene Denkweise korrigieren; das eigene Handeln an der Situation ausrichten; das eigene Können entfalten; die eigene Kraft zielgenau einsetzen; zur rechen Zeit zurückschlagen. Um ehrlich zu sein, auf der Stufe des Yíng quán muss man nicht nur die Fähigkeit haben, zurückschlagen zu können, sondern ganz besonders die Fähigkeit, Schläge einstecken zu können. Nur so kann man die Kunst vollenden, entweder gar nicht zu kämpfen oder zu kämpfen, um zu gewinnen. Der Autor hat in der späteren Phase seiner Kampfkunstausbildung einmal 12 Faustschläge von Lehrer Hán Qíchāngs “Faust in den Boden pflanzen” eingesteckt. Anschließend wandte sich Lehrer Hán Qíchāng begeistert an die umstehenden Schüler und meinte: “Wer kann ihm noch etwas anhaben.” Den schnellen Faustschlag von Onkel-Lehrer Yǐn Sìduō hat Lehrer Hán Qíchāng bei einem regionalen öffentlichen Faustkampfturnier selbst einmal einstecken müssen. Lehrer Hán Qíchāng sagte immer: “Wer von einem Schlag getroffen zu Boden geht und wieder aufstehen kann, ist ein guter Kämpfer. Wer aber wie eine zermatschte Kakifrucht nicht wieder auf die Beine kommt, den kann man nicht als guten Kämpfer bezeichnen.” Auf dem Land gab es damals unter Bauern ein Sprichwort: “Ein Fuhrmann, der schon einmal die Probe bestanden hat, dass ihm sein Pferd durchgegangen ist, der ist ein guter Fuhrmann.”

Yíng quán ist jedes Mal wieder neuer Unterricht auf der Stufe der “Schulung des Geistes”.

Gōng quán 公拳 ( öffentlich, allgemein) ist der Vergleich mit Praktizierenden anderer Kampfkünste, eine Form, sich öffentlich im Faustkampf zu messen, bei der die Tür für Angehörige anderer Kampfkünste offen steht. Das gleicht den Acht Unsterblichen, die das Meer überquerten und jeder dabei seine jeweils besonderen Fähigkeiten zeigte. Unsere Vorväter drückten das so aus: „Nehmen wir uns Zeit und veranstalten einen öffentlichen Faustkampf Wettkampf. Wir unterscheiden nicht nach den verschiedenen Kampfkünsten. Unser Ziel ist es, die Kampfkünste zu benutzen, um Freunde zu treffen, uns auszutauschen und unser Können zu überprüfen.” Früher stellte man für einen öffentlichen Faustkampf ein Kampfpodest auf oder steckte einen öffentlichen Wettkampfplatz ab. Es war ein freier Wettbewerb, bei dem der Bessere natürlich gewann. Das war anders als heute, wo das Schicksal über Sieg oder Niederlage allein in der Hand des Schiedsrichters liegt.

Gōng quán ist öffentlicher Unterricht, der den Mut der Kämpfer trainiert, sie Erfahrung sammeln lässt und die drei Stufen der Veränderung - des Körpers, des Qi sowie des Geistes - verifiziert.

1.3.6 Verhältnis zwischen Ständen und Faustkampf

In der Überlieferung des fünf-Stände-Méihuāzhuāng gibt es sowohl die Stände als auch den Faustkampf. Es heißt, in den Ständen ist Faustkampf enthalten und umgekehrt sind im Faustkampf auch die Stände präsent. Wenn man Stände und Faustkampf vergleicht, dann stehen die Stände für Üben in Ruhe, für die Fähigkeit Energie anzusammeln. Faustkampf steht für Üben in Bewegung, für die Fähigkeit Können freizusetzen. Die Stände eignen sich, Krankheiten vorzubeugen, den Körper zu kräftigen, um ein langes Leben in Gesundheit zu erreichen. Der Faustkampf eignet sich für die Selbstverteidigung und für den, der mutig für Gerechtigkeit eintreten möchte.

Das Stehen in den fünf Ständen ist Grundlagentraining zur Ausbildung körperlicher Stärke. Nach außen kräftigt man Knochen, Sehnen, Muskeln und Haut, nach innen reguliert man die inneren Organe. Die Stände stehen für Werte wie Vorbeugung, Gesunderhaltung, für Kräftigung und Stärkung der körperlichen Grundlagen.

Der Faustkampf ist der Überbau des Méihuāzhuāng. Es geht um die Realisierung der Fähigkeit zur Selbstverteidigung. Das beinhaltet zum einen die Frage, wie setze ich mentale Stärke, die Kraft des Geistes ein. Das beinhaltet zum anderen die Überlegung, wie setze ich Kopf und Körper ein. Wie setze ich die oberen Extremitäten mit Schulter, Ellbogen, Handgelenk, flacher Hand und Fingern sowie die unteren Extremitäten mit Hüfte, Knie, Knöchel, Fuß und Zehen ein? Wenn es zu einer gefährlichen Situation kommt, dann beteiligen sich alle Organe und Funktionen an der Aufrechterhaltung der eigenen Sicherheit. Das macht den Wert des Faustkampfes aus. Das Verhältnis von Ständen zu Faustkampf ist das von Gesunderhaltung zu Anwendung.

Fünf-Stände-Méihuāzhuāng ist wie eine Stahlfabrik. Praktizierende sind wie Eisenerz, das sich selbst in einen Eisenofen wirft. Die vier Tore sind wie vier Öfen für die Eisen- und Stahlherstellung. Die fünf Stände und die drei Methoden sind wie Spezialstähle, die aus dem Stahlofen heraus kommen. Chéng quán, Faustkampf nach festgelegten Regeln, ist wie das Konstruieren dieses Stahls zu einem fertigen Produkt gemäß einem bestimmten Spezifikationsmodell. Yíng quán, Faustkampf mit dem Ziel, den Sieg davon zu tragen, ist als würde man diesen Stahl flexibel auf eine Vielzahl von Produkten anwenden. Gōng quán, der öffentliche Vergleich mit anderen Kampfkünsten, ist wie viele Stähle, die aufeinander treffen. Es wird die Qualität von Biegungswiderstand, Flexibilität und Zähigkeit verglichen. Im öffentlichen Vergleich wird auf dem Podium ein hervorragendes Produkt präsentiert. Natürlich ist es schwierig, Dinge und Menschen zu vergleichen. Dinge sind Materie, Menschen sind mit Geist begabt. Der Vergleich ist nur als Beispiel zum besseren Verständnis gedacht.

Auf Grundlage der Überlieferung des traditionellen fünf-Stände-Méihuāzhuāng erläuterte Lehrer Hán Qíchāng, Meister der 16. Generation, seine eigenen Erfahrungen und fasste sie in fünf Zeichen zusammen: aufrecht (zhèng ), glatt (shùn ), rund (yuán ), voll (mǎn ) und genug (gòu ).

Aufrecht zhèng bezieht sich auf die Körperhaltung. Auf stabilen Pfahl-Beinen richtet sich der Körper aufrecht empor. Méihuāzhuāng praktiziert den “großen Rahmen” und “vier auf einer Ebene”. “Großer Rahmen” bedeutet, die Bewegungen sind groß. “Vier auf einer Ebene” bedeutet, dass linkes Knie und linke Hüfte, rechtes Knie und rechte Hüfte sowie linke Schulter und linker Arm und rechte Schulter und rechter Arm auf einer ebenen Position platziert werden. Ohne aufrechten Stand gibt es keine Stabilität.

Glatt (shùn ) bezieht sich auf die positive Auswirkung der aufrechten Körperhaltung nach innen und bedeutet reibungsloser Fluss von Qi und Blut. Die Kraft kommt überall an. Läuft der Energiefluss nicht reibungslos, dann sind Blockaden vorhanden.

Rund (yuán ) bezieht sich auf die Wechsel zwischen den Ständen. Die Wechsel zwischen den Ständen werden rund und dynamisch ausgeführt. Sollte es da ein Problem geben, so fehlt es an ganzheitlichem Zusammenschluss.

Voll (mǎn ) bezieht sich auf die Quantität von Essenz, Qi und Geist. Der Praktizierende präsentiert sich voller Energie. Sollte das Merkmal “voll” nicht erfüllt sein, dann besteht ein Energiemangel.

Genug (gòu ) bezieht sich auf die Qualität, auf das Niveau des Praktizierenden. Alle Inhalte der obigen vier Zeichen müssen erfüllt sein, dann kann sich ein neues Körpergefühl einstellen. Dieses wird auf Chinesisch als 气势泓浓充盈到位 qìshì hóngnóng、chōngyíng dàowèi beschrieben. Der Praktizierende spürt eine eindrucksvolle innere Kraft, tief und eindringlich. Der Geist ist klar, alle Teile des Körpers werden deutlich wahrgenommen, Qi und Blut sinken in die Fußsohlen, die Bewegungen sind voll und öffnen sich nach außen, die Wechsel sind rund und dynamisch, die Fäuste fest geballt, Qi strömt reichlich in das Faustgesicht, stark und kraftvoll. Der Praktizierende verfügt über alle Voraussetzungen, nutzt sie jedoch nur im Notfall. Sollte das Merkmal “genug” nicht ausreichend erfüllt sein, so ist dieser höchste Punkt noch nicht erreicht.

Die fünf Zeichen sind zu einem Leitfaden für Praktizierende des fünf-Stände-Méihuāzhuāng geworden und bereichern die überlieferte Theorie dieser Kampfkunst.

Anmerkung der Übersetzerin: Die fünf Zeichen und insbesondere das Merkmal “genug” (gòu ) wurden in der deutschen Übersetzung wesentlich breiter ausgeführt als im chinesischen Original. Die Ausführungen basieren auf intensiven mündlichen Erläuterungen des Autors.

Von Lehrer 韩其昌 Hán Qíchāng ist das Fünf Stände Wechsel Lied überliefert. Es enthält verschiedene Wechsel in der Einzelpraxis oder in der Praxis mit mehreren Teilnehmern, bei Ständen, in denen Faustkampf enthalten ist, und bei Faustkampf, in dem Stände enthalten sind.

Fünf Stände Wechsel Lied

Wechsel im großen Stand

Qi sammelt sich im Dantian, das liegt in der Mitte. Sei aufmerksam, ob da jemand kommt.
Kommt jemand von Süden, dann folge ihm nach Norden. Kommt jemand von Osten, dann folge ihm nach Westen.
Du siehst, dass er Kraft benutzt, leih dir seine Kraft aus. Lass dich nicht auf ein Kräftemessen ein.

Wechsel im längs Stand

Der längs Stand wird auf einer Linie ausgeführt. Aus allen vier Richtungen kommt jemand, dem kannst du mit Wechseln begegnen.
Erster Wechsel “Kun Faustschlag” mit Arm einwickeln, zweiter Wechsel “mit der Faust den Berg spalten”, trifft zuerst.
Dritter Wechsel, du kannst alles benutzen, Hände, Körper, Schritte, Blick. Vierter Wechsel ist der “Beinfeger” mit “Abwehrbereitschaft”.

Wechsel im verdrehten Stand

Der verdrehte Stand windet sich wie ein Drache. Schultern auf einer Linie, Füße nach innen ausrichten, nutzt West-Ost Richtung.
Schritt seitwärts, frontaler Fersenstoß, “Hand wie der Wind”, der schräge Körper und der verdrehte Schritt kommen überraschend.
Nach links und rechts drehen, horizontaler Fußkick nach außen, die “Faust in den Boden pflanzen”, “schneller Faustschlag”, gnadenlos.

Wechsel im kleinen Stand

Der kleine Stand steht stabil wie ein Nagel, treten und ziehen, Beintechniken um sich herauszuwinden, wie ein Affe.
Festhalten und mitziehen, eng am Körper mit dem Ellbogen stoßen, den am Boden liegenden Gegner mit exzellenter Beinarbeit kontrollieren.
Treten mit der Hacke, Kick mit der Fußspitze, “Bein wie der Wind”, die Wechsel oben und unten vollziehen sich so schnell wie der Wind.

Wechsel im schrägen Stand

Ausgestreckt im schrägen Stand blickst du zurück, links spalten, rechts schlagen, jederzeit bereit einen Wechsel zu vollziehen.
Vorne, hinten, links und rechts die Beine wegschlagen, vorne aufschlitzen, hinten anheben, rechte und linke Seite im Wechsel.
Die Füße sind zu 70% und die Hände zu 30% beteiligt. Bei jedem Wechsel ist die Schnelligkeit das entscheidende Moment.

Die Praxis des fünf-Stände-Méihuāzhuāng ist ein guter Weg, die Funktion der autonomen Nerven (d.h. der sympathischen und parasympathischen Nerven) zu verbessern. Beim Stehen in den fünf Ständen wechseln die sympathischen Nerven des Körpers allmählich vom erregten Zustand in den gehemmten Zustand der Ruhe; beim Üben der Schritttechniken der drei Methoden wechseln sie schnell wieder vom gehemmten Zustand der Ruhe in den erregten Zustand der Bewegung. Auf diese Weise kann der Mechanismus der Umstellung von Herzschlag und Atmung von schnell auf langsam und umgekehrt verbessert werden, Ruhe und Bewegung bauen aufeinander auf und machen gesund und glücklich.

1.3.7 Kurze Einführung in die Waffen des fünf-Stände-Meihuazhuang

Im fünf-Stände-Meihuazhuang sind vor allem lange Waffen vertreten. Repräsentativ sind der lange Speer, der sog. Schachbrett Speer, und der große Säbel, der sog. Frühlings und Herbst Säbel. Ohne ein gewisses Niveau erreicht zu haben, sind beide Waffen schwer zu kontrollieren. Weiter gibt es noch lange Waffen, die bäuerlichen Ackergeräten ähneln, wie z. B. Heugabeln (tǎngchā 镋叉) und Rechen (tǎngpá 镋耙). Weitere lange Waffen sind Gänseflügel (yànchìtǎng 雁翅镋), Phönixflügel (fèngchìtǎng 凤翅镋) und chinesische Hellebarden (fāngtiānjǐ 方天戟 ).

Es gibt Doppelwaffen wie den Gelehrten Stock (wénbàng 文棒) und den Tiger Krückstock (hǔpíngguǎi 虎平拐).

Kurze Waffen sind selten. Der vom Lehrer überlieferte Phönix Säbel (dānfèngdāo 单凤刀 ) stammt aus der Shàolín Schule und das seltsame Schwert in 13 Bewegungen (qímén shísān jiàn 奇门十三剑) stammt aus der Emei (峨眉 éméi) Schule.

2 Ursprung und Geschichte

2.1 Frühgeschichtliche Überreste

( ... )

2.2 Qiū Chùjī

( ... )

2.3 Die Geschichte der Brüder Lǐ Tíngguì und Lǐ Tíngyù

Generationen von Anhängern des fünf-Stände-Meihuazhuang haben die Geschichte der Brüder Lǐ Tíngguì und Lǐ Tíngyù, Meister der 13. Generation, überliefert und auch Lehrer Hán Qíchāng und Lehrer Hán Fùguāng, beide Lehrer der 16. Generation, haben sie immer wieder dann erzählt, wenn es um die neuere Geschichte des Méihuāzhuāng im Dorf Xīwángjiāzhuāng, Kreis Wǔqiáng, Provinz Héběi ging.

„Zu jener Zeit gab es in vielen Dörfern in der Provinz Héběi Faustkampfübungsplätze, deren Zweck es war, die Sicherheit der Dörfer zu gewährleisten. Eines Herbstes, als sich der Übungsplatz (im Dorf Xīwángjiāzhuāng) schon geleert hatte, alle waren bereits nach Hause gegangen, kam ein Tuchverkäufer aus eben diesem Dorf von außerhalb zurück. Er hatte Tuche verkauft. Gerade als er seinen Karren an die Kreuzung am Deich geschoben hatte, rissen ein paar mit kurzen Messern bewaffnete Banditen Stoff und Geld aus dem Karren. Der Tuchhändler lief ins Dorf und zum Übungsplatz, um Leute zusammenzutrommeln, aber außer einem alten Mann, der Sesambrötchen verkaufte, war da niemand. Als der alte Mann hörte, dass jemand von Banditen ausgeraubt worden war, nahm er ein großes Viehhalfter und nachdem er sich genau nach dem Ort des Geschehens erkundigt hatte, machte er sich auf den Weg. Der Tuchverkäufer sah, dass sonst niemand auf dem Übungsplatz war. Also blieb ihm nichts übrig, als ein Haus nach dem anderen abzuklappern und die Leute zu bitten mitzukommen. Als sich mehr als ein Dutzend versammelt hatten und mit Säbeln und Speeren aus dem Dorf loszogen, sahen sie nicht weit entfernt den alten Mann, der Sesambrötchen verkauft hatte, von der Kreuzung am Deich zurückkommen. Der alte Mann sagte zu den Dorfbewohnern: “Ihr könnt Geld und Kleidung holen, die Banditen habe ich schon in die Flucht geschlagen.”

Über die Herkunft des alten Mannes war nur bekannt, dass er ursprünglich als Bettler von außerhalb gekommen war und später seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Sesambrötchen verdient hatte. Er lebte in einem Tempel außerhalb des Dorfes. Beim Gehen lahmte er ein bisschen. Als die Dorfbewohner hörten, was der alte Mann da sagte, waren sie ziemlich erstaunt. Im Innern überlegten sie: dieser alte Mann wollte die Banditen alleine in die Flucht geschlagen haben? Da gab es doch Zweifel. Auf dem Übungsplatz hatten sich schon viele Menschen versammelt und sprachen über den lahmen alten Mann mit den Sesambrötchen, der die Banditen allein in die Flucht geschlagen haben wollte, und es wurden Meinungen ausgetauscht: „Der Alte muss was können, aber er gibt es nie zu, er behauptet immer, er könne überhaupt nichts.“ Später schlug der Meister des Übungsplatzes seinen Schülern vor: „Lasst uns das so machen. Wenn ihr abends zum Üben kommt, dann übt ihr nicht so lange und begebt euch früher zur Ruhe. Wir kaufen ihm alle seine Sesambrötchen ab, essen sie auf und gehen dann nach Hause. Danach schicken wir dann zwei oder drei Leute zu dem Tempel, in dem er wohnt, und hören einmal, ob es irgendwelche Geräusche gibt."

In dieser Nacht sah der alte Mann, dass alle Sesambrötchen verkauft und alle Praktizierenden schon nach Hause gegangen waren. So packte auch er seine Sachen zusammen und ging zufrieden in den Tempel zurück. Dort zündete er die Öllampe an. Freudig zog er sein Hemd aus und kam mit bloßem Oberkörper in den Hof. Dort fing er an sich zu bewegen und begann dann langsam mit dem Faustkampf. Die Schüler außerhalb des Tempels sahen, dass der alte Mann flink und wendig war. Er machte Schritte, als flöge er und jede einzelne Bewegung war außerordentlich krafvoll. Er lahmte überhaupt nicht. Als sie das alles sahen, sprangen die Schüler von außerhalb des Tempels hastig über die Mauer und fielen gemeinsam vor dem alten Mann auf die Knie: „Jetzt kannst du nicht mehr sagen, dass du überhaupt nichts kannst." Da wusste der Alte nicht mehr, was er sagen sollte, und konnte nicht anders, als die Bitten der Schüler zu erfüllen. Von nun an verkaufte er keine Sesambrötchen mehr, sondern brachte ihnen den Faustkampf bei, nämlich den „fünf-Stände-Meihua-Faustkampf”. Zwei oder drei Jahre unterrichtete er sie die fünf Stände und die Form. Anschließend gingen sie allmählich zum angewandten Faustkampf über, sie lernten und übten festgelegte Fauskampfpartnerübungen, danach freie Faustkämpfe zu zweit und später mit mehreren Teilnehmern. Die Schüler lernten fleißig und hatten hervorragende Erfolge vorzuweisen.

Eines Tages kam ein Besucher zum Übungsplatz und wollte unbedingt den Lehrer sprechen. Als sich Lehrer und Besucher sahen, brachen beide in Tränen aus und konnten eine Weile nichts sagen. Erst da erfuhren alle den wirklichen Namen ihres Lehrers. Er hieß Lǐ Tíngguì und kam aus dem Kreis Wēi in der Provinz Héběi. Wegen Ungerechtigkeiten in seinem Heimatort hatte er den ortsansässigen Tyrannen getötet und war anschließend inkognito geflohen. Später hatte er sich dann in diesem Dorf versteckt. Sein jüngerer Bruder Lǐ Tíngyù war auf der Suche nach ihm gewesen. Die Angelegenheiten in seinem Heimatort waren finanziell geregelt worden und der Rechtsstreit war bereits beigelegt. Der jüngere Bruder war auf der Suche nach seinem älteren Bruder hierher gekommen. Nachdem sie alles aufgeklärt hatten, bat Lǐ Tíngguì seinen Bruder zu bleiben, um die hiesigen Schüler weiter an seiner Stelle zu unterrichten und diesen Ort erst zu verlassen, wenn er ihnen alles beigebracht hätte. „Jetzt sind ihre Fähigkeiten im Faustkampf sehr gut, sie beherrschen alles hervorragend. Nur den Umgang mit Waffen haben sie noch nicht gelernt. Ich bitte dich, mein Bruder, bringe ihnen alles bei und wenn sie soweit sind, dass sie Lehrer sein und andere Schüler unterrichten können, erst dann sollst du nach Hause zurückkehren.”

Das ist die wahre Geschichte vom Ursprung des Méihuāzhuāng im Dorf Xīwángjiāzhuāng, Kreis Wǔqiáng. Später errichtete Meister Rèn Jùnjié, Lehrer der 14. Generation, einen Grabstein zur Erinnerung an die beiden außergewöhnlichen Meister Lǐ Tíngguì und Lǐ Tíngyù. "